Savitri - Book 1 Canto 2

Der Auftrag

  1. Für eine Weile, in geheime Gedankengefilde zurückgezogen,
  2. bewegte sich ihr Mental in den Bildern der Vergangenheit,
  3. die wieder auflebte und das Ende kommen sah:
  4. sterbend, lebte es unvergänglich in ihr fort.
  5. Vorübergehend und vor ihren flüchtigen Blicken verschwindend,
  6. unsichtbar als ein schicksalhafter Geist des Selbst,
  7. trug die Vergangenheit die Zukunft auf ihrer gespenstischen Brust.
  8. Entlang der weit zurückgelegten Spur des vergänglichen Ereignisses
  9. ging der Strom der Strom der beharrlichen Stunden zurück
10. und an dem Ufer der geheimnisvollen Flut,
11. bevölkert von liebenswerten Gestalten, die man nicht mehr sah
12. und für die feinen Bilder der Dinge, die einst waren,
13. stand ihr Spirit als Zeuge, der auf die Zeit zurückblickte.
14. All das , was sie sich einst erhofft und erträumt hatte und selbst gewesen war,
15. flog auf Adlersflügeln durch die Himmel der Erinnerung vorüber.
16. Wie in einer vielfarbig flammenden Morgendämmerung des Innern
17. lagen die breiten Wege ihres Lebens und ihre süßen Seitenpfade
18. vor ihrem sonnenklaren Blick verzeichnet wie auf einer Karte.
19. Von dem hellen Lande ihrer Kindertage,
20. den blauen Bergen ihrer dahingleitenden Jugend,
21. den paradiesischen Gärten und den Pfauenschwingen der Liebe
22. bis zur Freude, die sie unter dem schweigenden Schatten des Verhängnisses an sich riß,
23. in einer Neigung, wo Himmel und Hölle wetteiferten.
24. Zwölf leidenschaftliche Monate führten zu jenem Schicksalstag.
25. Eine absolut übernatürliche Dunkelheit fällt
26. manchmal auf den Menschen, wenn er sich Gott nähert:
27. Eine Stunde naht, wenn alle Mittel der Natur versagen;
28. vertrieben von der schützenden Unwissenheit
29. und auf seine nackten Urbedürfnisse zurückgeworfen.
30. Zuletzt muß er sich von seiner Oberflächenseele befreien
31. und das unbekleidete Wesen im Innern sein:
32. Jene Stunde schlug nun Savitri.
33. Sie hatte einen Punkt erreicht, wo das Leben vergeblich wird
34. oder, als ihr ungeborenes Wesen erwachte,
35. ihr Wille das Los ihres Körpers aufheben mußte.
36. Denn nur die zeitlose Kraft des ungeborenen Spirits
37. kann das Joch heben, das durch die Geburt mit der Zeit auferlegt wird.
38. Nur das Selbst, das diese Selbstform erschafft,
39. kann diese  endlose, starre Linie zerbrechen,
40. die diese wechselnden Namen, diese unzähligen Leben,
41. diese neuen unbeachteten Persönlichkeiten verbinden
42. und hält stets lauernd in unseren bewußten Handlungen
43. an der Spur der längst vergessenen Gedanken und Taten fest.
44. Es lehnt das Vermächtnis unsres begrabenen Selbst ab,
45. die lästige Erbschaft unsrer schwindenden Formen,
46. die von dem Körper und der Seele blind akzeptiert wurden.
47. Eine Episode in einer vergessenen Geschichte,
48. deren Auftrag verloren, deren Motiv und Handlung verborgen sind,
49. die einst als lebendige Geschichte unser gegenwärtiges Schicksal vorbereitet
50. und gestaltet hat, das Kind vergangener Kräfte.
51. Die Festigkeit der kosmischen Reihenfolge,
52. die mit unvermeidlichen, verborgenen Zwischengliedern verbunden sind,
53. mußte sie unterbrechen und zerstören mit der Kraft ihrer Seele.
54. Ihre Vergangenheit, die ein Hindernis auf der Straße der Unsterblichkeit war,
55. mußte getilgt und ihr Schicksal neu gestaltet werden.
56. Wie ein Gespräch der Urgötter,
57. die sie an den Grenzen des Unbekannten traf,
58. mußte ihre Erörterung der Seele mit dem verkörperten Nichts
59. im gefährlichen und dunklen Hintergrund ausgefochten werden:
60. Ihr Wesen mußte ihrer formlosen Ursache entgegentreten
61. und sein einzelnes Selbst gegen das Universum aufwiegen.
62. Auf dem kahlen Gipfel, wo das Selbst alleine mit dem Nichts ist
63. und das Leben keinen Sinn und die Liebe keinen Platz zum Bestehen hat,
64. mußte sie sich am Rande des Erlöschens für ihren Fall einsetzen,
65. um in die Todeshöhle dieser Welt die hilflose Forderung des Lebens aufrechtzuerhalten
66. und das Recht des Seins und des Liebens zu verteidigen.
67. Das rauhe System der Natur mußte verändert werden.
68. Sie mußte sich von der Bindung der Vergangenheit befreien,
69. eine alte Rechnung des Leidens tilgen,
70. die lange angehäufte Schuld der Seele,
71. die schwere Knechtschaft an die kosmische Gottheiten,
72. die langsame Rache des unvergebenen Gesetzes,
73. die tiefe Not des Weltleidens, das harte Opfer
74. und die tragische Konsequenz aus der Zeit löschen.
75. Eine zeitlose Barriere mußte sie durchbrechen
76. und mit ihren denkenden Tiefen die ungeheure Stille der Leere durchdringen,
77. in die einsamen Augen des unsterblichen Todes schauen
78. und mit ihrem nackten Geist die unendliche Nacht ausmessen.
79. Nun nahte der große und schmerzhafte Moment.
80. Wie ein gepanzertes Bataillon, das ist sein Verhängnis marschiert,
81. so gingen die letzten Tage mit schwerem Schritte vorüber,
82. langsam, aber allzu früh geschehen und zu nah dem Ende.
83. Allein inmitten vieler Gesichter, die sie liebte,
84. und unter unwissend glücklichen Herzen bewußt,
85. hielt sie mit ihrem gewappneten Geist Ausschau nach den Stunden
86. und lauschte nach dem vorhergesehenen, furchtbaren Schritt
87. in der dichten Schönheit der unmenschlichen Wildnis.
88. Eine Kämpferin auf einem ruhigen, doch furchtbaren Kampfplatz,
89. den die Welt nicht kannte, aber für die Welt stand sie ein:
90. Keine Helfer hatte sie außer der inneren Stärke.
91. Es gab keinen Zeugen mit irdischem Blick.
92. Die Götter oben und die Natur allein unterhalb
93. waren die Zuschauer jenes mächtigen Ringens.
94. Um sie herum waren die rauhen zum Himmel gerichteten Berge
95. und das grüne, flüsternde Gehölz mit seinen breiten, tiefen Sinnen,
96. das unaufhörlich seine dumpfen Zauberworte murmelte.
97. Ein dichtes, farbenprächtig und selbstgestricktes Leben,
98. das in lebhaften, smaragdgrün monotonen Blättern gekleidet war,
99. besetzt mit bunten Sonnenstrahlen und fröhlichen Blumen,

100. war ihr Schicksal, das sie auf dem einsamen Schauplatz umgab.
101. Dort war sie zu der Gestalt ihres Spirits herangewachsen:
102. Der Geist titanischen Schweigens,
103. der ihre Seele in seine weite Einsamkeit tauchte,
104. hatte ihr die bloße Wirklichkeit ihres Selbst gezeigt,
105. und sie vereinte sich mit ihrer Umgebung.
106. Jene Einsamkeit vergrößerte ihre menschlichen Stunden
107. mit dem Hintergrund des Ewigen und Einzigartigen.
108. Eine Kraft von deutlich spärlicher Notwendigkeit,
109. die das schwere Gerippe menschlicher Tage
110. und seine überlastete Masse äußerer Bedürfnisse
111. zu einem ersten schmalen Streifen tierisch einfacher Bedürfnisse verminderte,
112. dazu die mächtige Wildnis der ursprünglichen Erde,
113. die in sich gekehrte Menge geduldiger Bäume,
114. das sinnende Saphirblau der himmlischen Muße,
115. sowie die ernste Last der langsam vorübergehenden Monate
116. hatten in ihr einen tiefen Raum für Gedanken und Gott hinterlassen.
117. Dort wurde der strahlende Prolog ihres Dramas gelebt.
118. Ein Platz für den Auftritt des Ewigen auf Erden
119. begann in der klösterlichen Sehnsucht der Wälder,
120. und wurde durch die Aspiration der Gipfel bewacht,
121. die durch ein goldenes Tor der Zeit erschien,
122. wo die lauschende Stille das ungesprochene Wort empfand,
123. und die Stunden vergaßen, zu Kummer und Wandel zu vergehen.
124. Hier kam ganz plötzlich, was dem göttlichen Kommen eigen ist,
125. das das Wunder der ersten Herabkunft wiederholte
126. und den Wandel des trägen irdischen Laufes verzückte,
127. die Liebe zu ihr, die den Schatten des Todes verbarg.
128. Wohl konnte er in ihr sein vollkommenes Heiligtum finden.
129. Seitdem himmelwärtiges Wachstum der Erdenwesen anfing,
130. durch all die Prüfungen der Rassen hindurch,
131. hat keine seltenere Kreatur den Strahl ertragen,
132. jene brennende Prüfung der Gottheit in unsere Gegend,
133. die ein Blitzstrahl von den Höhen zu unseren Abgründen ist.
134. Alles in ihr wies auf eine noblere Natur hin.
135. Der Weite der Erde nahe und mit dem Himmel vertraut,
136. erhob sich schnell ihr junger weitschauender Spirit,
137. der durch die Welten der Herrlichkeit und der Ruhe reiste
138. und überflog die Gedankenwege zu den geborenen Dingen.
139. Eifrig war ihr selbstgetragener Wille, der nicht strauchelte.
140. Ihr Mental, ein See von heller Aufrichtigkeit
141. und leidenschaftlich im Fluß, hatte nicht eine trübe Welle.
142. Wie eine Priesterin in einem mystischen und
143. dynamischen Tanz der reinen Ekstase, die erfüllt war
144. und geleitet wurde von dem verhüllten Gewölbe der Wahrheit,
145. bewegte sie sich in einigen prophetischen Höhlen der Götter;
146. ein Herz des Schweigens in den Händen der Freude,
147. in dem ein reicher schöpferischer Pulsschlag wohnte,
148. ein Körper wie ein Gleichnis des Erwachens,
149. wie eine Nische für verschleierte Göttlichkeit
150. oder als goldenes Tempeltor der jenseitigen Dinge.
151. Unsterblicher Rhythmus wog in ihren zeitgeborenen Schritten.
152. Ihr Blick, ihr Lächeln erweckte himmlische Sinne
153. sogar im Erdenstoff, und aus ihrer intensiven Freude
154. strömte eine himmlische Schönheit auf das Leben der Menschen.
155. Ein weites sich Selbstgeben war ihre natürliche Handlung.
156. Ein Großmut, wie er dem Meer und dem Himmel gleicht,
157. der alles mit seiner Größe einhüllte, der da kam
158. und das Gefühl von einer größeren Welt gab;
159. ihre freundliche Aufmerksamkeit war wie ein lieblichmilder Sonnenschein,
160. ihre heftige Leidenschaft ein Gegengewicht zum blauen Himmel.
161. Als könnte eine Seele wie ein gejagter Vogel fliegen,
162. der mit müden Flügeln von einer stürmischen Welt entflieht
163. und eine Stille erreicht wie eine Brust, die sich erinnerte,
164. in dem Hafen der Sicherheit und herrlich sanfter Ruhe.
165. Man konnte Leben trinken aus Strömen von Honigfeuer
166. und die verlorene Gewohnheit der Freude wiederfinden,
167. die herrliche Umgebung ihrer heiteren Natur fühlen
168. und Freude aus ihrer Wärme und Farbigkeit schöpfen.
169. Eine Tiefe des Mitgefühls, ein leises Heiligtum,
170. war ihre innere Hilfe und schloß ein Tor im Himmel auf.
171. Die Liebe in ihr war weiter als das Universum
172. und die ganze Welt konnte Zuflucht in ihrem Herzen finden.
173. Die großen unbefriedigten Gottheiten konnten darin wohnen.
174. Frei von dem zwergenhaften Selbst, das in der Luft eingesperrt war,
175. konnte ihre Stimmung seinen erhabenen Atem beherbergen,
176. den spirituellen, der alle Dinge göttlich macht.
177. Selbst ihre Abgründe waren Heimlichkeiten des Lichts.
178. Sofort war sie die Ruhe und das Wort,
179. ein Kontinent des Friedens, der sich selbst verbreitet,
180. ein Ozean aus jungfräulichem Feuer, das nichts erschüttert,
181. die Stärke und die Ruhe der Götter war ihr eigen.
182. Er fand in ihr eine Weite, wie in sich selbst,
183. fand seinen sehr warmen, feinen Äther wieder
184. und bewegte sich in ihr wie in seinem natürlichen Heim.
185. Er traf in ihr seine eigene Ewigkeit wieder.

186. Bis dahin hatte keine Trauerfalte diesen Strahl gehemmt.
187. Auf der schwachen Brust dieser unsicheren Erde,
188. die ihr kugelförmiges Sehvermögen in ihrem engen Haus
189. aus Sympathie für glücklichere Sterne öffnete,
190. wo das Leben nicht dem traurigen Wechsel ausgesetzt ist,
191. erinnerte sie sich der Schönheit, die die todgeweihten Augen ignorierten
192. und wunderte sich über die gebrechliche Gestalt der Welt,
193. die auf Leinwandstreifen der Glimmerzeit fortgesetzt wurde.
194. Die Straffreiheit der ungeborenen Mächte war ihr eigen.
195. Obwohl sie dazu neigte, die Last der Menschen zu tragen,
196. behielt ihr Schritt das Maß der Götter.
197. Der Atem der Erde konnte diesen Prächtigen Spiegel nicht beschmutzen.
198. Mit dem Staub unsrer sterblichen Atmosphäre unbeschmiert,
199. strahlte er noch immer die spirituelle Freude des Himmels zurück.
200. Fast sah  man, wer in ihrem Licht lebte,
201. ihren Spielkameraden in der immerwährenden Sphäre,
202. der von seinen unerreichbaren Reichen herabstieg,
203. und von der Ankunft ihrer Lichtspur angelockt,
204. glitt der flammende Drachenvogel der unendlichen Wonne
205. mit den brennenden Schwingen über ihre Tage dahin.
206. Das ruhige Schild des Himmels beschützte das beauftragte Kind.
207. Eine glühende Umlaufbahn war ihre frühe Bestimmung.
208. Die Jahre vergingen wie die goldene Kleidung der Götter.
209. Ihre Jugend saß thronend auf der stillen Glückseligkeit.
210. Aber Freude kann nicht bis zum Ende andauern.
211. Es gibt eine Dunkelheit in den irdischen Dingen,
212. die nicht lange den allzu frohen Klang erduldet.
213. Auf ihr liegt zu dicht die unentkommbare Hand:
214. das bewaffnete Unsterbliche trug die Schlinge der Zeit.
215. Man befaßte sich mit ihr, die den belasteten Großen begegnete.
216. Der Überbringer des Gottesurteils und des Pfades,
217. der in dem Holocaust der Seele
218. den Tod, den Fall und das Leiden als den Ansporn des Spirits wählt,
219. diese zweideutige Gottheit mit seiner Fackel des Leidens,
220. erleuchtete den Abgrund der unvollendeten Welt
221. und forderte sie auf, den Abgrund mit ihrem weiten Selbst zu füllen.
222. Erhaben und unbarmherzig in seiner ruhigen Betrachtung,
223. indem er die schreckliche Strategie des Ewigen vergrößerte,
224. maß er die Schwierigkeiten mit der Kraft und
225. grub noch tiefer in dem Abgrund, den alle überqueren müssen.
226. Er griff ihre göttlichsten Elemente an,
227. machte ihr Herz mit den ringenden menschlichen Herzen verwandt
228. und zwang ihre Kraft auf dem ihr vorbestimmten Weg.
229. Deshalb hatte sie in dem sterblichen Atem eingewilligt.
230. Sie war gekommen, um mit dem Schatten zu ringen,
231. mußte dem Rätsel der menschlichen Geburt und
232. dem kurzen Kampf des Lebens in der dumpfen Materie entgegentreten.
233. Entweder die Unwissenheit und den Tod zu ertragen
234. oder die Wege der Unsterblichkeit auszuhauen,
235. um für die Menschheit das göttliche Spiel zu gewinnen oder zu verlieren,
236. war der Auftrag ihrer Seele vom Schicksalswürfel ausgemacht.
237. Aber nicht um nachzugeben und zu leiden wurde sie geboren;
238. zu führen und zu befreien war ihre glorreiche Pflicht.
239. Hier war kein irdisches Gefüge, das sie zu einem täglichen
240. Gebrauch ihrer geschäftigen sorglosen Mächte befähigte.
241. Ein Bild flimmerte auf der Leinwand des Schicksals,
242. halb beseelt für eine vorübergehende Schau,
243. oder ein Gestrandeter auf dem Ozean der Begierde,
244. der in die Wirbel des unbarmherzigen Spiels hineingeworfen
245. und durch die Strudel der Umstände hin- und hergeworfen wurde.
246. Ein Geschöpf, das geboren wurde, sich unter dem Joch zu beugen,
247. ein Sklave und ein Spielzeug für die Herrn der Zeit,
248. oder ein weiterer Bauer im Spiel, der zum Zug kam,
249. der eine langsame Bewegung vorwärts auf dem unermeßlichen Brett
250. des Schachspiels der verhängnisvollen Erdseele tat, -
251. so wird die menschliche Figur von der Zeit herumgeschoben.
252. Eine bewußte Anordnung war hier, eine aus dem Selbst geborene Kraft.
253. In diesem Rätsel über die Dämmerung Gottes,
254. in diesem langsamen, fremden und unbehaglichen Kompromiß
255. der beschränkten Natur mit der unbeschränkten Seele,
256. wo sich alles in einem geordneten Schicksal
257. und einer blinden unbekümmerten Notwendigkeit bewegen muß,
258. darf das spirituelle Feuer nicht zu hoch zu lodern wagen.
259. Wenn es einmal auf die intensive, ursprüngliche Flamme trifft,
260. könnte eine Antwort die auferlegten Maßregeln zerschmettern,
261. und die Erde würde unter der Last des Unendlichen niedersinken.
262. Ein Kerker ist diese unermeßliche materielle Welt.
263. Über jede Straße wacht ein steinäugiges Gesetz,
264. an jedem Tor schreiten riesige, finstre Posten einher.
265. Ein graues Tribunal der Ignoranz,
266. eine Inquisition der Priester der Nacht,
267. die zu Gericht über die Abenteuerseele sitzt,
268. die doppelten Gesetzestafeln und die Norm des Karmas
269. halten den Titan und den Gott in uns zurück.
270. Der Schmerz mit seiner Peitsche und die Freude mit ihrem silbernen Bestechungsgeld
271. bewacht die kreisende Unbeweglichkeit des Rades.
272. Eine Fessel wird dem hoch steigenden Mental angelegt,
273. ein Siegel auf das allzu große, weit offene Herz.
274. Der Tod bleibt dem reisenden Entdecker im Leben.
275. Somit ist der Thron des Unbewußten gesichert,
276. während die langsamen Windungen der Äonen (Weltalter) vorübergehen,
277. das Tier in seiner heiligen Umzäunung weidet,
278. und der goldene Falke nicht mehr durch die Himmel ziehen kann.
279. Aber eine stand auf und entzündete die grenzenlose Flamme.
280. Durch die dunkle Macht, die alle Seligkeit haßt,
281. wurde sie vor dem schrecklichen Gericht angeklagt, wo das Leben für seine Freude
        bezahlen muß
282. und durch den mechanischen Richter zu einer Strafe verurteilt,
283. die die Hoffnung der Menschheit trübt.
284. Ihr Haupt beugte sich nicht vor dem starren Urteilsspruch,
285. indem sie ihr hilfloses Herz vor dem Schicksalsschlag entblößte.
286. So beugte sich der mental geborene Wille im Menschen
287. gehorsam den alt, festgelegten Statuten,
288. indem er ohne Berufung die niederen Götter zuläßt.
289. Das Übermenschliche säte seine Saat in sie.
290. Unfähig, die mächtigen Schwingen des Traumes zusammenzufalten,
291. weigerte sich ihr Spirit am allgemeinen Schmutz festzuhalten,
292. oder, da er sich aller goldenen Bedeutungen des Lebens beraubt fand,
293. sich mit der Erde zu einigen und aus den Sternen getilgt
294. oder mit schierer Verzweiflung das Gott gegebene Licht zu löschen.
295. Da sie sich an das Ewige und die Wahrheit gewöhnte,
296. erbat ihr menschliches Bewußtsein seiner göttlichen Quellen
297. keine Linderung des Schmerzes von der sterblichen Schwäche und
298. überdeckte nicht das eigene Versagen mit Feilschen oder Kompromiß.
299. Sie mußte ein Werk tun, ein Wort sprechen,
300. die unvollendete Geschichte ihrer Seele,
301. gemessen an Taten und Gedanken, in das Buch der Natur schreiben.
302. Sie akzeptierte nicht, die leuchtende Seite zu schließen,
303. ihren Handel mit der Ewigkeit rückgängig zu machen
304. oder eine Unterschrift der schwachen Zustimmung
305. unter die grausame Bilanz des weltlichen Börsenspiels zu setzen.
306. Eine Kraft in ihr, die seit der Entstehung der Erde sich mühte,
307. um im Leben den Weltenplan zu vollenden,
308. indem es die unsterblichen Ziele nach dem Tod verfolgte,
309. weigerte sich, die unfruchtbare Rolle der Enttäuschung zuzugeben,
310. die Bedeutung der Zeitgeburt zu verschmerzen,
311. der Herrschaft zufälliger Fakten zu folgen
312. oder dem erhabenen Schicksal, das vergeht, ihre Bestimmung zu gewähren.
313. In ihrem eignen Selbst fand sie ihre höhere Zuflucht.
314. Sie entsprach mit eisernem Gesetz ihrem souveränen Recht.
315. Ihr Einzelwille widersetzte sich der kosmischen Regel.
316. Um die Räder des Schicksals aufzuhalten, erhob sich ihre Größe.
317. Durch das Klopfen des Unsichtbaren an ihre verborgenen Tore
318. wuchs ihre Kraft mit der Berührung des Blitzes und
319. erwachte aus dem Schlummer in der Nische ihres Herzens.
320. Sie ertrug den Schlag von Jenem, das tötet und bewahrt.
321. Jenseits des fürchterlichen Aufmarsches, den kein Auge sehen kann,
322. ausgenommen ihres schrecklichen Weges, den kein Wille ändern kann,
323. trat sie der Maschinerie des Universums entgegen.
324. Ein Herz stand den antreibenden Rädern im Wege:
325. Ihr gewaltiges Wirken blieb vor einem Mental stehen,
326. und ihre starren Regeln trafen auf die Flamme einer Seele.
327. Eine magische Hebelkraft wird plötzlich eingefangen,
328. die den zeitlosen Willen des unverhüllten Unaussprechlichen bewegt.
329. Ein Gebet, ein Meisterakt, ein Königsgedanke
330. vermag des Menschen Kraft mit der transzendenten Macht zu verbinden.
331. Denn wird ein Wunder zur allgemeinen Regel gemacht,
332. kann eine mächtige Tat den Lauf der Dinge ändern,
333. und einsamer Gedanke wird allmächtig.
334. Alles scheint nun der angehäufte Mechanismus der Natur zu sein;
335. eine endlose Knechtschaft unter materielle Herrschaft,
336. und die starre Kette langfristiger Bestimmung,
337. ihre festen unveränderten Gewohnheiten, die ein Gesetz nachäffen,
338. ihr Reich einer unbewußten raffinierten Planung
339. hebt den Anspruch an des Menschen freien Willen auf.
340. Auch der Mensch ist eine Maschine unter Maschinen;
341. ein Kolben des Gehirns pumpt die Formen seines Denkens heraus,
342. ein schlagendes Herz stanzt die Formen seines Führers aus;
343. eine empfindungslose Energie fertigt die Seele an,
344. oder die Gestalt der Welt offenbart die Zeichen
345. eines festgelegten Zufalls, der ihre alten Schritte
346. in Kreisen um die Achse der Materie wiederholt.
347. Eine zufällige Serie abwegiger Ereignisse ist hier,
348. zu der die Vernunft sich dem trügerischen Sinn hingibt,
349. oder der triebhaften Suche des erfahrungsmäßigen Lebens,
350. das kolossale Wirken eines gewaltig unwissenden Mentals.
351. Aber Weisheit kommt, und in dem Innern wächst die Schau:
352. Dann krönt das Werkzeug der Natur sich selbst als deren König;
353. er fühlt sein bezeugendes Selbst und seine bewußte Macht;
354. seine Seele tritt zurück und sieht das höchste Licht.
355. Eine Gottheit steht hinter dem brutalen Mechanismus.
356. Diese Wahrheit brach mit dem Triumph des Feuers ein;
357. ein Sieg wurde für Gott im Menschen gewonnen,
358. die Gottheiten enthüllten ihr verborgenes Gesicht.
359. Die große Welten-Mutter erhob sich jetzt in Savitri:
360. Eine lebendige Auswahl kehrte die kalte tote Richtung des Schicksals um,
361. bejahte des Geistes Schritt auf die Umstände,
362. drückte das sinnlos schrecklich kreisende Rad zurück
363. und stoppte den stummen Marsch der Notwendigkeit.
364. Ein leuchtender Krieger aus den ewigen Höhen,
365. der ermächtigt war, das verbotene und verschlossene Tor aufzubrechen,
366. suchte das dumpfe unumschränkte Antlitz des Todes heim
367. und sprengte die Fesseln des Bewußtseins und der Zeit.