Savitri - Book 1 Canto 1

Das Buch der Anfänge - Das Sinnbild der Morgendämmerung

  1. Es war die Stunde, bevor die Götter erwachen.
  2. Quer über den Pfad des göttlichen Ereignisses lag
  3. das gewaltig ahnende Mental der Nacht allein
  4. in seinem unbeleuchteten Tempel der Ewigkeit
  5. sich bewegungslos erstreckend am Saum des Schweigens.
  6. Fast fühlte man, dunkel und undurchdringlich,
  7. in dem finsteren Zeichen seines augenlosen Sinnens
  8. den Abgrund des körperlosen Unendlichen;
  9. ein unergründliches Nichts erfüllt die Welt.
10. Eine Kraft des gefallenen und endlosen Selbst erwacht
11. zwischen dem ersten und dem letzten Nichts
12. und erinnert sich an den dunklen Schoß, aus dem sie kam,
13. wandte sich ab von dem unauflösbaren Mysterium der Geburt
14. und dem langsamen Prozeß der Sterblichkeit
15. und sehnte sich nach ihrem Ende im freien Nichts.
16. So wie in einem dunklen Anfang aller Dinge,
17. wie eine stumme, formlose Gestalt des Unbekannten,
18. die für immer den unbewußten Akt wiederholte
19. und für immer den unsichtbaren Willen verlängerte,
20. wog die kosmische Schlaftrunkenheit der unwissenden Kraft,
21. deren gerührter schöpferischer Schlummer die Sonnen entzündet
22. und trägt unser Leben in seinem nachtwandlerischen Wirbel.
23. Entgegen des leeren und gewaltigen Traumzustandes des Raumes,
24. seiner formlosen Erstarrung ohne Mental oder Leben,
25. wie ein Schatten, der durch eine seelenlose Leere wirbelt,
26. noch einmal zurückgeworfen in gedankenlose Träume,
27. kreiste die Erde verlassen und vergeßlich in den falschen
28. Strudeln ihres Geistes und ihres Schicksals.
29. Die teilnahmslosen Himmel waren neutral, leer und still.
30. Dann regte sich etwas in der unergründlichen Finsternis;
31. eine unbeschreibliche Bewegung, eine unbedachte Idee
32. beharrlich, unbefriedigt, ohne ein Ziel,
33. etwas, was sein möchte, aber nicht wußte, wie,
34. schürte das Unbewußte, um Unwissenheit zu wecken.
35. Ein Schmerz, der kam und eine zitternde Spur hinterließ
36. und machte Platz für ein altes, müdes und unerfülltes Bedürfnis,
37. das in Frieden in seiner unbewußten, mondlosen Höhle lebte,
38. um sein Haupt zu erheben und nach dem abwesenden Licht zu suchen,
39. indem es die geschlossenen Augen einer entschwundenen Erinnerung zusammenpreßte,
40. wie jemand, der ein längst vergangenes Selbst zu finden sucht
41. und nur den Leichnam seiner Sehnsucht trifft.
42. Es war, als ob gerade in der Tiefe dieses Nichts,
43. sogar im Kern dieser äußersten Vernichtung,
44. ein vergessenes Wesen lauerte,
45. ein Überlebender einer toten und begrabenen Vergangenheit,
46. verdammt dazu, die Mühe und die Qual wiederaufzunehmen
47. und in einer anderen frustrierten Welt zu erneuern.
48. Ein ungestaltetes Bewußtsein sehnte sich nach Licht
49. und eine leere Voraussicht schmachtete nach ferner Wandlung.
50. Wie wenn ein kindlicher Finger sich auf die Wange legt
51. und die unbekümmerte Mutter des Universums
52. an den endlosen Bedarf nach den Dingen erinnert,
53. ein kindliches Verlangen ergreift die finstere Weite.
54. Kaum fühlbar begann eine Bresche:
55. Eine einsame Linie von verhaltener Färbung,
56. wie ein vages Lächeln, das ein verlassenes Herz verführt,
57. störte den fernen Rand des unbekannten Lebensschlaf.
58. Von der anderen Seite der Endlosigkeit gekommen,
59. versuchte ein göttlicher Blick etwas durch die lautlosen Tiefen zu erkennen;
60. ein Kundschafter der Sonne auf Erkundung
61. schien inmitten eines tiefen kosmischen Schlafes,
62. in der Trägheit einer abartigen und überdrüssigen Welt,
63. allein und trostlos nach einem Spirit zu suchen
64. und auch noch anzufangen, sich an vergessene Seligkeit zu erinnern.
65. Als er in ein achtloses Universum trat,
66. schlich seine Botschaft durch die zögernde Stille,
67. um das Abenteuer des Bewußtseins und Freude zu wecken
68. und erzwang erneute Zustimmung zu sehen und zu fühlen,
69. dadurch, daß er die ernüchterte Brust der Natur besiegte.
70. Ein Gedanke wurde in der unsicheren Leere gesät,
71. ein Gefühl wurde in den Tiefen der Finsternis geboren,
72. eine Erinnerung zitterte im Herzen der Zeit,
73. als ob eine längst tote Seele zu leben gerührt war:
74. Aber die Vergessenheit, die nach dem Fall folgt,
75. hatte die überfüllten Gedenktafeln der Vergangenheit befleckt,
76. und all das, was zerstört wurde, muß wieder aufgebaut
77. und alte Erfahrungen noch einmal ausgearbeitet werden.
78. Alles kann geschehen, wenn Gott die Dinge berührt.
79. Eine gestohlene Hoffnung, in der man kaum zu bleiben wagte,
80. inmitten der trostlosen Gleichgültigkeit der Nacht.
81. Als ob man inständig in einer fremden Welt
82. mit ängstlicher und instinktgewagter Anmut bat,
83. verwirrt und hinausgetrieben, nach einem Heim zu suchen.
84. Ein irrendes Wunder ohne Platz zum Leben,
85. in einem weit entfernten Winkel des Himmels, dorthin kam
86. eine langsame wunderbare Geste des schwachen Flehens.
87. Ein beharrlicher Schauer einer verwandelnden Berührung
88. überzeugte die träge, schwarze Stille
89. und Schönheit und Staunen störten die Gefilde Gottes.
90. Eine schweifende Hand aus fahlem bezaubertem Licht,
91. das entlang des Randes eines vergänglichen Augenblickes strahlte,
92. befestigte ein Tor aus Träumen, angelehnt am Rande des Mysteriums
93. mit goldenen Paneelen und schimmernden Angeln.
94. Eine durchsichtige Ecke, die verborgene Dinge offenbarte,
95. zwang die blinde Unermeßlichkeit der Welt zum Sehen.
96. Die Dunkelheit ließ nach und entglitt wie ein fallender Umhang
97. von dem zurückgelehnten Körper eines Gottes.
98. Dann, durch eine blasse Spalte, die anfangs
99. kaum genug für einen Tropfen der Sonnen erschien,

100. ergoß sich die Offenbarung und das Feuer.
101. Das flüchtige fortwährende Zeichen kehrte darüber hinaus wieder.
102. Ein Glanz von unerreichter Transzendenz,
103. schillernd mit der Pracht der unsichtbaren Welt
104. wie eine Botschaft von dem unbekannten, unsterblichen Licht.
105. Lodernd auf dem zitternden Saum der Schöpfung
106. schuf die Morgendämmerung ihre Aura aus prachtvollen Farben
107. und begrub ihren Samen der Würde in den Stunden.
108. Als der Besucher eines Augenblickes erschien die Gottheit.
109. Auf dem dünnen Saum des Lebens stand für eine Weile die Vision
110. und beugte sich nach vorn zur nachdenklichen Stirn der Erde.
111. Eine ausgefallene Schönheit und Wonne von mystischer
112. Bedeutung in farbigen Hieroglyphen dargestellt,
113. schrieb sie die Zeilen eines bedeutsamen Mythos,
114. der von der Größe der spirituellen Anfänge berichtet,
115. ein Kodex, strahlend aufgezeichnet auf des Firmamentes Seiten.
116. Beinahe wurde an jenem Tag die Gotteserscheinung enthüllt,
117. auf die unsere Gedanken und Hoffnungen Signalleuchten sind.
118. Ein einsamer Glanz von dem unsichtbaren Ziele
119. wurde fast in die undurchsichtige Leere geschleudert.
120. Noch einmal beunruhigte ein Schritt die unbewohnten Weiten;
121. das Zentrum der Unendlichkeit, ein Gesicht aus verzückter Stille
122. teilte die ewigen Lider, die den Himmel öffnen;
123. eine Gestalt von ferner Glückseligkeit schien sich zu nähern.
124. Eine Botschafterin zwischen Ewigkeit und Veränderung,
125. diese allwissende Göttin beugte sich über die Großzügigkeit,
126. die, die vom Schicksal verhängte Wanderung der Sterne einhüllt
127. und sah die Weite bereitwillig zu ihren Füßen.
128. Einmal blickte sie sich zur Hälfte nach ihrer verschleierten Sonne um,
129. danach ging sie gedankenvoll ihrer unsterblichen Arbeit nach.
130. Die Erde fühlte das Unvergängliche näherkommen:
131. die wachen Ohren der Natur hörten ihre Schritte,
132. und Weite wandte sich ihr mit grenzenlosem Auge zu.
133. Und in verschlossenen Tiefen verstreut, entfachte ihr
134. helles Lachen die Ruhe der Welten.
135. Alles wurde eine Weihung und ein Ritus.
136. Die Luft war ein zitterndes Bindeglied zwischen Himmel und Erde;
137. die weitbeflügelte Hymne eines großen, priesterlichen Windes
138. erhob sich und scheiterte auf den Hügeln des Altars;
139. die hohen Zweige ersuchten den enthüllten Himmel.
140. Hier, wo unsre halberleuchtete Unwissenheit ihre Abgründe
141. am stummen Busen der zweifelhaften Erde nährt;
142. hier, wo man nicht einmal den Schritt nach vorne kennt
143. und die Wahrheit ihren Thron auf dem dunklen Rücken der Unwissenheit besitzt,
144. auf diesem qualvollen und unsicheren Feld der Mühe
145. unter dem weitgehend gleichgültigen Blick ausgebreitet,
146. eines unparteiischen Zeugen unsrer Freude und Trauer,
147. gebar unsere erschöpfte Erde den erwachenden Strahl.
148. Hinzu kam, daß die Vision und der prophetische Schein sich
149. in Wunder von allgemein bedeutungsloser Art entflammten;
150. dann verschwand die göttliche Inspiration, erschöpft, zurückgezogen
151. und unerwünscht aus der sterblichen Sichtweise.
152. Eine heilige Sehnsucht zog sich in ihrer Spur dahin,
153. die Verehrung einer Gegenwart und einer Macht,
154. die zu perfekt ist, um von todgeweihten Herzen gehalten zu werden,
155. für die kommende Voraussicht einer wunderbaren Geburt.
156. Nur kurze Zeit kann das Gotteslicht verweilen;
157. eine spirituelle Schönheit, die die menschliche Sicht erleuchtet,
158. umsäumt mit ihrer Leidenschaft und dem Geheimnis die Maske der Materie,
159. und sie verschwendet eine Ewigkeit am Pulsschlag der Zeit.
160. Wie wenn sich eine Seele der Geburtenschwelle nähert,
161. wo sterbliche Zeit an Zeitlosigkeit grenzt,
162. und ein Funke der Gottheit in der Materie Krypta verloren ging,
163. wobei sein Glanz in den unbewußten Ebenen verschwindet,
164. jene vergängliche Glut magischen Feuers,
165. die sich sofort in üblich klarer Luft auflöst.
166. Die Botschaft endete und der Bote verschwand.
167. Der einfache Ruf einer unbekannten Kraft
168. zog sich in eine weit entfernte Geheimwelt aus
169. Farben und Wunder aus himmlischen Lichtstrahlen zurück.
170. Sie betrachtete nicht mehr unsere Sterblichkeit.
171. Das Übermaß an Schönheit, von Natur dem Gottwesen eigen,
172. konnte den Anspruch des zeitgemäßen Blickes nicht aufrechterhalten;
173. eine zu mystische Wirklichkeit für die Weltraumbedingung.
174. Ihr Körper der Herrlichkeit wurde vom Himmel ausgelöscht;
175. die Rarität und das Wunder lebten nicht mehr.
176. Es gab nur das allgemeine Licht des irdischen Tages.
177. Und befreit von der nachlassenden Müdigkeit,
178. folgte der Lärm der Lebenseile erneut
179. den Zyklen ihres blinden Treibens.
180. Alle rannten hin zu ihrer unveränderlichen Alltagsbeschäftigung;
181. die tausend Geschöpfe, die den Boden und den Raum bevölkern,
182. gehorchten jenem Drängen des unvorhersehbaren Augenblickes,
183. und auch der Mensch, hier Führer mit dem unerläßlichen Verstand,
184. der einzige, der auf das verhüllte Antlitz der Zukunft starrt,
185. er hob die Bürde seines Schicksals auf.

186. Auch Savitri erwachte unter diesen Stämmen,
187. die eilten, sich dem Ruf der Botenpracht anzuschließen,
188. und, durch die scheinbaren Wege der Schönheit verführt,
189. begeistert zu ihrem Anteil an der kurzlebigen Freude beitrugen.
190. Verwandt mit der Ewigkeit, von wo sie herkam,
191. nahm sie nicht teil an diesem kleinen Glück;
192. eine mächtige Unbekannte im menschlichen Gefilde,
193. der verkörperte Gast im Innern gab keine Antwort.
194. Der Ruf, der das Sprunghafte im menschlichen Mental erweckt,
195. den bunten eifrigen Antrieb zum Tätigsein,
196. das farbig-flatterhafte Trugbild des Begehrens,
197. besuchte ihr Herz nur wie ein süßer fremder Ton.
198. Die Zeitbotschaft flüchtigen Lichts war nichts für sie.
199. Sie barg die Pein der Götter in sich,
200. die in unsrer vergänglichen Menschengestalt gefangen ist.
201. Das Unsterbliche wurde durch den Tod der Dinge besiegt.
202. Einst war eine größere Naturfreude ihr eigen gewesen,
203. jedoch lange konnte sie ihre himmlisch goldene Farbe nicht erhalten
204. oder auf diesem spröden irdischen Fundament bestehen.
205. Als schmale Regung auf dem tiefen Abgrund der Zeit,
206. verweigerte des Lebens zerbrechliche Geringfügigkeit die Kraft.
207. Die stolze und bewußte Weite und die Seligkeit
208. hatte sie in der menschlichen Gestalt mit sich gebracht,
209. die stille Freude, die eine Seele mit allem verbindet,
210. der Schlüssel zu den flammenden Toren der Ekstase.
211. Das Gefüge der Erde, das den Saft des Vergnügens und der Tränen braucht,
212. verweigerte den Segen der unsterblichen Wonne
213. und bot der Tochter der Unendlichkeit
214. die Passionsblume der Liebe und des Schicksals an.
215. Dies herrliche Opfer schien nun vergebens.
216. Verschwenderisch in ihrer reichen Göttlichkeit
217. hatte sie ihr Selbst und alles, was sie war, den Menschen hingegeben,
218. indem sie hoffte, ihr höheres Leben einzupflanzen,
219. damit sich diese Leben in ihrem Körper eingewöhnt,
220. jene Macht des Himmels, die natürlich auf sterblichen Boden wächst.
221. Es ist hart die Erdnatur von der Wandlung zu überzeugen.
222. Das Sterbliche erträgt nur schwer den Hauch des Ewigen:
223. es fürchtet die rein göttliche Intoleranz
224. eines solchen Ansturmes von Äther und Feuer;
225. es murrt über sein sorgenfreies Glück
226. und fast mit Haß weist es das Licht zurück, das er ihm bringt.
227. Es zittert vor der Kraft der nackten Wahrheit
228. und vor der Macht und der Lieblichkeit seiner vollkommenen Stimme.
229. Indem das Gesetz des Abgrundes die Höhen heimsucht,
230. besudelt es die Boten des Himmels mit seinem Dreck:
231. Dornen der gefallenen Natur sind die Verteidigung,
232. so wendet es sich gegen die erlösenden Hände der Gnade
233. und begegnet die Söhne Gottes mit Tod und Pein.
234. Eine Herrlichkeit von Blitzen durchzog die Erdszenerie.
235. Ihre sonnenhellen Gedanken verblaßten mit der Verdunklung des unwissenden Mentals;
236. betrogen war ihre Arbeit und ihr Gutes in Böses verwandelt.
237. Das Kreuz war ihre Bezahlung für die Krone, die sie gaben.
238. Nur einen herrlichen Namen hinterlassen sie.
239. Ein Feuer ist gekommen und hat die Herzen der Menschen berührt und verschwand;
240. einige haben Feuer gefangen und sich zu höherem Leben erhoben.
241. Zu ungleich war die Welt, zu deren Hilfe und Rettung sie kam,
242. und ihre Größe lastete auf deren ignoranten Brust.
243. Aus ihrem tiefen Zauber quoll ein schrecklicher Rückfall,
244. ein Teil ihres Leids, ihres Ringens, ihres Falls.
245. Mit Kummer zu leben und mit dem Tod auf ihren Weg konfrontiert, -
246. das Los der Sterblichen wurde ein Teil der Unsterblichen.
247. Somit tappte sie in die Falle des irdischen Schicksals,
248. indem sie auf die Stunde ihrer Feuerprobe wartend ausharrte.
249. Von ihrer angeborenen Glückseligkeit verbannt,
250. nahm sie das finstere Gewand irdischen Lebens an.
251. Und verbarg sich selbst vor denen, die sie liebte.
252. Durch das menschliche Geschick wuchs die Göttlichkeit.
253. Ein dunkles Zukunftswissen trennte sie
254. von all denen, deren Stern und Beistand sie war;
255. zu groß, um Pein und Gefahr laut zu äußern
256. und in ihren zerrissenen Tiefen bewahrte sie den Kummer ihres Kommens.
257. Als eine, die über blind gebliebene wacht
258. und die Last einer unwissenden Rasse aufnimmt,
259. indem sie einen Feind in sich birgt, den sie mit ihren Herzen füttern muß.
260. Ihrer Handlung und ihres Schicksals unbewußt gegenüberstehend
261. mußte sie ohne Hilfe vorhersehen, sich fürchten und wagen.
262. Der lang vorausgewußte und verhängnisvolle Morgen war da
263. und brachte einen Mittag, der wie jeder andre zu sein schien.
264. Denn die Natur schreitet auf ihren mächtigen Weg fort,
265. ohne auf die Seele eines Lebens zu achten, die sich zerbricht;
266. Erschlagenes läßt sie hinter sich und schreitet weiter:
267. Nur der Mensch und Gottes alles sehenden Augen bemerken es.
268. Noch in dem Augenblick ihrer seelischen Zweifel,
269. bei ihrem schrecklichen Rendezvous mit dem Tod und der Furcht,
270. kam kein Schrei von ihren Lippen und kein Ruf nach Hilfe.
271. Sie erzählte niemand das Geheimnis ihres Leids:
272. Ruhig war ihr Antlitz, und ihr Mut hielt sie stumm.
273. Allein ihr äußeres Selbst litt und kämpfte;
274. selbst ihre menschliche Natur war halb göttlich:
275. Ihr Spirit öffnete sich für den Geist in allem,
276. ihr Wesen fühlte alles Wesen als ihr eigenes.
277. Getrennt im Innern lebend trug sich alles Leben in ihr fort;
278. unnahbar trug sie die Welt in sich.
279. Ihre Furcht war einst mit der großen kosmischen Furcht
280. und ihre Kraft beruhte auf die kosmischen Mächte;
281. die Liebe der universellen Mutter war ihr eigen.
282. Gegen das Übel an den geplagten Wurzeln des Lebens,
283. mit ihrem eigenen Elend als besonderem Zeichen,
284. formte sie aus ihren Ängsten ein mystisch-scharfes Schwert.
285. Ein einsames Mental, ein weltweites Herz
286. erhob sie zum ungeteilten Werk des alleinigen Unsterblichen.
287. Anfangs bereitete das Leben keinen Kummer in ihrer schweren Brust:
288. Im Schoße der Erde ursprünglicher Schläfrigkeit,
289. träge und erlöst in Vergeßlichkeit,
290. ruhte es am Rande des Mentals liegend, unbewußt,
291. schwerfällig und gelassen wie ein Stein oder Stern.
292. In einer tiefen Kluft des Schweigens zwischen zwei Bereichen
293. lag sie weit entfernt von Kummer und von Sorge
294. und nichts erinnerte sie an das Leiden hier.
295. Dann bewegte sich langsam eine schwache Erinnerung wie ein Schatten
296. und seufzend legte sie ihre Hand auf ihre Brust
297. und fühlte ganz nah den bleibenden Schmerz.
298. Tief, ruhig, alt und heimisch an seinem Platz,
299. aber sie wußte nicht, warum er da war und woher er kam.
300. Die Kraft, die das Mental erhellt, war immer noch zurückgezogen:
301. Schwerfällig und unwillig waren die Bediensteten des Lebens
302. wie Arbeiter mit einem Lohn, der keine Freude macht.
303. Widerspenstig verweigerte die Fackel der Sinne zu brennen;
304. der Verstand fand ohne Hilfe seine Vergangenheit nicht.
305. Nur eine vage Erdnatur hielt den Rahmen zusammen.
306. Aber nun regte sie sich und ihr Leben teilte sich die kosmische Last.
307. Durch die Aufforderung des stillen Rufes ihres Körpers
308. fand ihr starker Spirit auf weiten Schwingen seinen Weg
309. zurück zum Joch der Unwissenheit und des Schicksals,
310. zurück zur Arbeit und dem Druck der Sterblichen Tage
311. und erleuchtete einen Pfad durch seltsame symbolische Träume
312. und über die abnehmenden Meere ihres Schlafes.
313. Ihre häusliche Natur fühlte einen unsichtbaren Einfluß,
314. ihre dunklen Räume des Lebens wurden schnell erleuchtet,
315. und Fensterflügel der Erinnerung öffneten sich für Stunden,
316. die müden Füße der Gedanken näherten sich ihren Türen.
317. Alles kam zurück zu ihr: Erde, Liebe und Verhängnis,
318. die alten Rechthaber, die sie umkreisten,
319. wie riesige Gestalten, die in der Nacht kämpften:
320. die Gottheiten, aus dem finsteren Unbewußten geboren,
321. erwachten zum Kämpfen und zum göttlichen Erleiden
322. und in dem Schatten ihres flammenden Herzens
323. in dem dunklen Zentrum der schrecklichen Debatte,
324. erschien ein Wächter des unversehrten Abgrundes,
325. der den langen Leidenskampf des Erdballes erbte.
326. Wie eine stille, steingleiche Gestalt von göttlich-großem Schmerz
327. starrte er in den Raum mit festem, gleichgültigem Blick,
328. der die zeitlosen Tiefen des Elends sah, aber nicht das Lebensziel.
329. Von seiner strengen Göttlichkeit geplagt,
330. an seinen Thron gebunden, wartete er unversöhnt
331. auf die täglichen Opfergaben ihrer ungeweinten Tränen.
332. All die heftigen Fragen nach dem menschlichen Dasein lebten auf.
333. Das Opfer des Leids und der Begierde,
334. das die Erde der unsterblichen Ekstase anbietet,
335. begann von neuem unter der ewigen Hand.
336. Hellwach erwartete Savitri den Moment des dichtgedrängten Aufmarsches
337. und schaute auf diese grün lächelnde, gefahrvolle Welt
338. und hörte den unwissenden Schrei der lebenden Dinge.
339. Inmitten der alltäglichen Klänge der unveränderten Szenerie
340. erhob sich ihre Seele und konfrontierte die Zeit und das Schicksal.
341. Unbewegt in ihrem Innern sammelte sie Kraft.
342. Das war der Tag, als Satyavan sterben mußte.